Sandra

Anfang der 90er Jahre habe ich den Bericht von Manfred Karremann zu den Langstreckentransporten von Rindern in den Nahen Osten angeschaut. Ich war zutiefst erschüttert und da ich noch Studentin war, hab ich mir die Wiederholung des Berichts im Morgenprogramm angeschaut, weil ich es nicht fassen konnte, was ich da sah. Meine erste Reaktion, quasi aus Notwehr, weil mir nichts einfiel, was ich Besseres tun konnte: Ich beschloss an dem Morgen mich zukünftig vegetarisch zu ernähren. So war es dann auch. Ich habe mich sehr gefreut vor einigen Jahren Manfred Karremann persönlich kennenzulernen und habe die Gelegenheit genutzt ihm für seine Berichte zu danken und ihm erzählt, dass er mein Leben verändert hat, grundlegend. Er war gerührt und umso mehr war ich gerührt. Diese schwere investigative Tierschutzarbeit ist so wichtig, weil sie eben Augen öffnet und bestenfalls auch den Verstand. Mein Weg führte mich dann in den Heimtierschutz bei dem Nutztierschutz kein Thema war. Ich nahm die Widersprüche schon vor über 25 Jahren wahr und bemühte mich zumindest in meinem persönlichen Umfeld für Aufklärung und Verhaltensänderung zu werben. Das erste Familienweihnachtsfest nach meiner Hinwendung zur vegetarischen Lebensweise stand dann auch gleich vor der Herausforderung: Die Pute oder ich. Meine Familie hat sich für mich entschieden. Hätte auch anders ausgehen können.

1999 wurde ich erstmals in den Vorstand des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung gewählt. Später war ich sechs Jahre Vorsitzende und habe mich in dieser Zeit mit allen Auswüchsen der sog. Nutztierhaltung intensiv auseinandersetzt. Und auch wenn ich selbst keine Tiere mehr aß, glaubte ich an die Möglichkeit der art- und verhaltensgerechten Nutztierhaltung um den Fleischhunger der Gesellschaft zu stillen. Nach und nach musste ich mir eingestehen, dass das System der Nutztierhaltung nicht reformierbar ist und am Ende immer ein Tier dessen beraubt wird, was ihm das Wichtigste ist: seines Lebens. In diesen Jahren sind mir alle Abgründe der Tierausbeutung bewusst geworden und das nicht nur auf eine emotionale Weise, sondern durch Wissen, Fakten, Zahlen. Und es entwickelte sich die Einsicht in die abgrundtiefe Ungerechtigkeit unseres Handelns. Vielleicht hätte ich wie andere die Emotionen verdrängen können, aber ich konnte mich schlicht nicht mehr dümmer machen. Und so führte mein Weg logischerweise in eine möglichst tierleidfreie, vegane Lebensweise. Warum das so lange gedauert hat, bis ich dann vor ungefähr 12 Jahren auch mein gesamtes Umfeld davon unterrichtet habe und darum gebeten habe meine Lebensweise zu berücksichtigen, hab ich mich öfter gefragt. Und es lag schlicht daran, dass ich nicht wieder so „anders“ sein wollte. Ich war mein Leben lang irgendwie anders als die anderen, brauchte nicht anders sein zu wollen, brauchte mich nicht durch Kleidung abzugrenzen, war einfach so. Und deshalb gab es auch das Bedürfnis dazu zu gehören und mit dem Label „vegan“ wusste ich, das ist wieder so „anders“. Und dennoch empfand ich es als totale Befreiung vegan zu essen und zunehmend vegan zu leben. Heute ist es so, dass ich merke, dass ich mit zunehmendem Alter zunehmend radikaler werde. Aber nach Jahrzehnten der Aufklärung und der Diskussionen muss doch auch mal langsam was in Bewegung kommen. Heute mag ich mich nicht mehr an einen Tisch setzen an dem auch Tierleichen verspeist werden, ich möchte nicht mehr so tun, als ob das ok wäre, die Grenzen meiner Toleranz sind da erreicht. Irgendwann wird aus dem „anders“ normal, aber eben auch nur, wenn man es einfordert. Davon bin ich zutiefst überzeugt, daher gehört für mich zur veganen Lebensweise auch immer das klare gesellschaftliche Engagement, ohne das aus keiner der Befreiungsbewegungen, jemals etwas geworden wäre.