Sandra Gullas Rumänienreise Sommer 2014

Reisebericht, 1. Teil

Im Vorfeld meiner Tierschutzreise dachte ich, dass es eine gute Idee sei, wenn ich direkt von hier aus zeitnah über die Situation vor Ort und meine Eindrücke und Erfahrungen berichte. Jetzt fühle ich mich damit überfordert. Die Eindrücke sind so überwältigend, dass ich sie schwer sortieren und zusammenfassen kann. Ich bitte daher alle Leserinnen und Leser um Nachsicht.

Erster Tag nach Ankunft, Mittwoch der 30. Juli 2014

Die rumänische Tierschützerin Aniela Ghita fährt mit Anna Langhammer, der 2. Vorsitzenden von ProDogRomania, und mir zu einer ihrer Pflegestellen. „Lady Octavia“ beherbergt regelmäßig eine Vielzahl von Welpen und kleinen Hunden, die Aniela aus der kommunalen Auffangstation Bucov in Ploiesti mitgenommen hat. Dort hätten sie so gut wie keine Chance zu überleben gehabt, weil sie so jung sind, weil sie krank sind, weil sie schwach sind. In Bucov sterben mehr als die Hälfte der eingelieferten oder dort geborenen Welpen. Wir bringen „Lady Octavia“ zwei große Säcke Hühnerknochen mit, die Aniela besorgt hat. „Lady Octavia“ kocht daraus eine Brühe; mit dieser weicht sie das Trockenfutter ein, damit alle Hunde genug essen können, um zu Kräften zu kommen. Aniela weist mich auf leere Welpenfutter-Dosen hin. Ich habe einen Kloß im Hals und fotografiere. Hier kommen also unsere Hilfsgüter an. „Lady Octavia“ freut sich, dass wir sie besucht haben, dass wir fotografieren und uns für die Hunde und ihre Arbeit interessieren.

Danach fahren wir in die kommunale Auffangstation Bucov. Aniela stellt uns den Leitungspersonen vor. Dies hier ist kein Tierheim. Es ist eigentlich die bezirkliche Tötungsstation. Aber das ist das erste Wunder an diesem Tag, dass sich mir ganz langsam in seinen Dimensionen offenbart: Es ist den unglaublich engagierten rumänischen Tierschützerinnen Aniela Ghita und Mihaela Teodoru mit der Unterstützung aus anderen Ländern, wie z.B. Deutschland, gelungen, dass hier nicht mehr getötet wird. Nur bei medizinischer Indikation durch die von den Tierschützerinnen beauftragten und bezahlten Tierärzte werden einzelne Hunde euthanasiert. Wir machen einen Rundgang. In den nächsten Stunden schaue ich in hunderte von Hundegesichtern. So viele erwartungsvolle Gesichter. Viele schreien uns heran, sie wollen zu uns, klettern in den Gittern empor; verstörte Gesichter, manche verzweifelt; zurückhaltende und abwartende Hunde, manche ängstlich; aber vor allem erwartungsvolle, brav am Gitter stehende Hunde. Unter Hunderten von Hunden sehe ich nicht mal eine Handvoll, die aggressiv auf unser Kommen reagiert. Wir werden nicht einmal viel verbellt, anders sieht es mit dem uns folgenden Tross von „flüchtigen Hunden“, also solchen, die aus ihren Ausläufen geflohen sind und nun auf dem sehr weitläufigen Gelände frei umherlaufen, aus. Sie folgen uns gerne in einem gewissen Abstand. Sie sind frei, aber auch in Gefahr. Denn auf der angrenzenden, vielbefahrenen Straße wird für Hunde nicht gebremst und die Leitung der Auffangstation sieht die umherlaufenden Hunde nicht gerne. Immer, wenn ich denke, dass wir nun doch wirklich alle Ausläufe abgelaufen sein müssen, kommen noch mehr und noch mehr. Zurzeit sind rund 1.400 Hunde hier. Diese ganzen wunderbaren Hunde sind das zweite Wunder an diesem Tag, der mich überwältigt.

Dieser Ort könnte eine Hundehölle sein, aber er ist es nicht. Das ist die Leistung länderübergreifenden, solidarischen Tierschutzes. Aber dieser Ort hat auch noch nichts mit unseren Vorstellungen eines Tierheimes zu tun. Dafür bedarf es noch viel Arbeit: Überzeugungsarbeit und Entwicklungshilfe. Ich bin voller Dankbarkeit gegenüber allen im Hamburger Tierschutzverein, die daran mitwirken, dass wir ein Teil dieser Arbeit geworden sind.

Zweiter Tag, Donnerstag der 31. Juli 2014

Ab acht Uhr dürfen wir auf das Gelände der Auffangstation. Die Arbeiter beginnen vorher mit ihrer Arbeit. Tote Hunde werden möglichst frühmorgens aus den Ausläufen entfernt. Am bewachten Eingang werden wir höflich begrüßt. Die Schilder, die das Fotografieren verbieten, haben keine Bedeutung mehr. Wir können uns auf dem gesamten Gelände bewegen, wir dürfen überall fotografieren. Nur wenn die Hundefänger mit ihrer täglichen Fracht neueingefangener Hunde kommen, ist unsere Anwesenheit beim Ausladen nicht erwünscht. Die Hunde werden mit Betäubungspfeilen erlegt, häufig erliegen die Hunde der falsch dosierten Betäubung.

Wenn es gelungen ist, das Töten in einer Tötungsstation zu stoppen, ist die nächste und wichtigste Aufgabe, die weitere Vermehrung der Hunde auf dem Gelände zu verhindern: durch Trennung der Geschlechter, aber vor allem durch Kastrationen. Heute wurden 30 Hunde von einem Tierarzt aus Bukarest und seinem Team, beauftragt von den rumänischen Tierschützerinnen, kastriert. Sie wollten eigentlich mehr schaffen, aber durch die hohen Außentemperaturen war es in dem kleinen Raum, in dem die Kastrationen erfolgen, sehr heiß und das Team konnte schlicht nicht mehr. Am Montag ist der nächste Kastrationstag, wieder finanziert durch Spenden. Eine Kastration kostet. unabhängig vom Geschlecht. 21 Euro.

Die hohen Temperaturen führen auch zu einem gesteigerten Wasserbedarf der Hunde. Daher haben wir heute immer wieder Wassertränken befüllt. ProDogRomania hat neben so viel anderem auch dafür gesorgt, dass alle Ausläufe mit zweckmäßigen Wasserbehältnissen ausgestattet sind.

Unsere Aufgabe heute ist es, die Hunde, die grundsätzlich ausreisefähig sind, weil sie geimpft und, soweit altersgemäß möglich, kastriert sind, zu fotografieren. Ein Hund ohne Foto existiert nicht, ein Hund ohne Foto hat keine Chance auf Adoption. Anna Langhammer, die 2. Vorsitzende von ProDogRomania, geht mit bewundernswerter Organisation und Disziplin an diese Aufgabe heran. Sie fotografiert, notiert und behält den Überblick. Ich versuche, wenn nötig, ihr die Hunde „zuzuführen“; ich halte, kraule oder locke. Viele Hunde mögen Anna so sehr, dass es eher um Abstand geht, um gute Fotos zu ermöglichen. Wir arbeiten uns durch mehrere Ausläufe. An die fünfzig Hunde konnten wir erfassen. Neben so vielen tollen Hunden, die man demnächst dann in der Galerie von ProDogRomania sehen kann, machen wir die Bekanntschaft von wahrscheinlich einer Million Fliegen. Dieses Summen all der Fliegen, die durch den vielen Kot und die vergammelnden Knochenreste, die Verletzungen der Hunde und jetzt auch durch Anna und mich angezogen werden, verfolgt mich bis hierhin in mein Pensionszimmer am Laptop.

Gerne würde ich über einzelne Hunde schreiben, aber dafür fehlt mir jetzt die Kraft. Und es sind jetzt schon so viele Eindrücke in meinem Kopf, dass ich ein ganzes Buch schreiben könnte: über die Hündin, die schon zweimal aus einem Auslauf entwichen ist, sich jedes Mal an den rostigen Gittern schwer verletzt hat;,über ein größeres Moppelchen, dem man das gar nicht zutraut, dass aber raus will aus der Enge der Ausläufe, jedoch auf dem Gelände bleibt und jetzt zufrieden wirkt;.über den Rauhaarigen mit durchgetretener Pfote, bei dem uns beim Fotografieren auffiel, dass er eine schlimm eingewachsene Kralle hatte, die heute gleich rausgeschnitten werden konnte und der ab morgen nun viel weniger Schmerzen hat… und … und ….und.

Für die Bildergalerie des ersten Teils des Reiseberichtes bitte auf das erste folgende Bild klicken:

Reisebericht, 2. Teil

Sandra Gulla, setzt den Bericht über ihre Tierschutzreise nach Rumänien fort:

In den letzten Tagen fühle ich mich oft niedergeschmettert, weil es oft nur ein klitzekleines Bisschen bräuchte für den Unterschied zwischen Leben und Tod. Die Gesichter der neu angekommenen Hunde sind der absolute Horror.

Die Unterbringung der Hunde in der Auffangstation ist nicht wie im Hamburger Tierschutzverein (HTV): Hier in Bucov gibt es zum Beispiel Einzelzwinger, die im Jahr 2001 gebaut wurden. Diese Zwinger sind nicht viel größer, als die Innen- und Außenzwinger im HTV, wo i.d.R. jeweils ein Hund untergebracht ist (ein großer Teil unserer Hunde wird ja in großen Ausläufen gehalten). In Bucov wird sowohl der Innen- als auch der Außenzwinger als jeweils ein Zwinger genutzt. Also die Hunde sind entweder nur drinnen oder nur außen untergebracht, dort kommen die neu Gefangenen hinein. In einem der Außenzwinger sitzen bis zu zwanzig Hunde. Diese Neuankömmlinge sind zunächst völlig fassungslos, oft durch die Betäubungspfeile schwer angeschlagen, sie sind am Ende ihrer Kräfte, denn sie haben zuvor um ihr Leben gekämpft. Sobald sie sich nur ein wenig erholt haben, schreien sie hinter uns her, zwei Tage, bis sie begriffen haben, dass auch wir freundlichen Frauen nichts Wesentliches für sie tun (können). Das Schreien ist für mich das Schlimmste, das stille Sterben der Welpen ist für mich leichter zu verkraften.

Bis zu zwanzig Hunde müssen sich einen Zwinger teilen. Auf der anderen Seite bin ich total gerührt und absolut begeistert, mit Anna Langhammer, 2. Vorsitzende von ProDogRomania (PDR), und den beiden engagierten rumänischen Tierschützerinnen Aniela Ghita und Mihaela Teodoru solch wunderbare Frauen um mich zu haben. Ich habe das Gefühl, sie bereits lange zu kennen, und wir können unsere Gefühle über die Situation der Hunde vor Ort teilen. Ich bin überglücklich, weil wir so viel tun konnten: Anna hat die Übersichten, wie viele Hunde wir erfasst haben. Mittlerweile haben wir unglaublich viele Hunde registriert und fotografiert, damit sie eine Chance haben, außerhalb Rumäniens adoptiert zu werden. Ich habe die letzten beiden Tage auch Catalina, einer der Tierärztinnen geholfen, die von den Tierschützerinnen bezahlt wird. Catalina habe ich „Die auf einem Bein arbeitet“ getauft: In den Ausläufen steht sie während des Impfens und Behandelns zumeist eben auf einem Bein, denn mit dem anderen muss sie ständig die weiteren Hunde – bis zu 35 in einem Auslauf – davon abhalten, sie zu stören.

Nach der Arbeit in der Auffangstation haben wir mittlerweile vier Pflegestellen besucht – jede mit einer völlig anderen Geschichte, arme Frauen, die so viel für die Hunde tun, und wohlhabende Frauen, die sich nicht schämen, für andere als verrückt zu erscheinen, weil sie Hunde retten. Heute habe ich den Geburtsort der kleinen Hündin Vulpy, die zurzeit bei mir in Deutschland als Pflegehund lebt, kennengelernt. Sie kommt aus einer absolut desolaten und unglaublich armen Familie, die ohne Strom und fließend Wasser an einem Dorfrand leben. Ihr Haus würde in Deutschland bestenfalls als Garage dienen. Bei mir Zuhause sitzt Vulpy vermutlich gerade auf dem Sofa – in Sicherheit. „Sicherheit“ ist das Wort, das wir hier am häufigsten gebrauchen.

Für Montag, 5. August, den letzten Tag in der Auffangstation Bucov, haben Anna und ich eine Liste erstellt, die wahrscheinlich völlig unrealistisch ist. Aber hier muss man unrealistische Dinge möglich machen. Wir möchten unbedingt eine neue Wasserkarre aufbauen und den Arbeitern zeigen, um sie von der Karre zu überzeugen! Wir müssen auf alle Fälle dafür sorgen, dass weitere Wassernäpfe, die ProDogRomania besorgt hat, in die Ausläufe kommen. In den sogenannten Death Kennels (Todesausläufen) leiden die Hunde unter Durst, weil das Wasser bei den sommerlichen Temperaturen in zwei Stunden ausgetrunken ist. Wir müssen schauen, ob wir beim Transport der Hunde in den Kastrationsraum helfen können, so dass möglichst viele Hunde kastriert werden können. Es ist sehr heiß und dennoch hoffen wir, dass das Team – ein Arzt und zwei Assistenten – 20 Hunde schafft.

Und an unserem letzten Abend in Ploieşti werden wir, wie an den Abenden zuvor, mit Aniela und Mihaela bis in die Nacht diskutieren, wie man den rumänischen Tierschutz voranbringen kann. Archie habe ich versprochen, dass er beim nächsten Transport in den HTV nach Hamburg reisen kann, wenn er nicht zuvor adoptiert wird oder tot ist.

Reisebericht, 3. Teil

04. August 2014

Am letzten Tag in der Auffangstation Bucov in Ploiesti haben wir sehr viel geschafft: zahlreiche Wassernäpfe aufgehängt, einen Wasserwagen aufgebaut und ebenso einen Futter-Transportwagen montiert. Ich hoffe sehr, dass die Arbeiter merken, dass ihnen die Werkzeuge und Hilfsmittel die Arbeit erleichtern und sie sie dann auch einsetzen. Das nützt den Hunden.

Wir haben darauf geachtet, dass in allen Ausläufen und Zwingern Wasser war und dass die Kranken in den Innenzwingern und die Welpen Futter bekommen haben. Es ist jetzt mit ein klein wenig Abstand auch für mich schon wieder unfassbar, dass die Hunde nicht jeden Tag etwas zu essen bekommen. An zwei Tagen in der Woche, und zwar am Wochenende, sorgen die Tierschützerinnen dafür, dass die Hunde Trockenfutter bekommen, insbesondere die deutsche Tierschutzorganisation ProDogRomania e.V. (PDR) macht das möglich. An den anderen Tagen gibt es Schlachtabfälle. Dies hört sich besser an, als es ist, denn hauptsächlich handelt es sich um Knochen oder Supermarktabfälle. Die Wurst, die dort teilweise im Futterwagen landete, „lebte“ schon wieder.

Aber es gibt auch immer wieder die Tage ohne Futter. Die Hunde in der Auffangstation Bucov verhungern dennoch nicht. Die Schwachen, die Alten, die Gehandicapten, die immer nur die Reste vom Wenigen abbekommen – was dann fast nichts ist – haben es schwer. Für mich ist es unfassbar, wie freundlich die durstigen und hungrigen Hunde zu uns waren. Sicher: Anna* und ich beachten die Regeln im Umgang mit großen Hundegruppen und wir haben Erfahrung damit.

Gerade heute Abend musste ich mir von einem gut situierten Rumänen wieder anhören, dass die Streunerhunde Menschen killen. Tja, ich hab über Tausend von ihnen kennengelernt und nur ihr Wunsch nach Kontakt hat Spuren an meinem Körper hinterlassen. Über die Arbeit von rumänischen und aus dem Ausland in Rumänien aktiven Tierschützern wussten er und seine Frau nicht viel. Es gibt noch jede Menge zu tun.

Ich habe die ganze Zeit versucht zu schauen, welcher Rüde, der Nachfolger meines im Mai dieses Jahres verstorbenen Rüden werden kann. Und ich stelle jetzt mit ein bisschen Abstand fest, dass ich seltsam unberührt an die Hunde denke, die ich als mögliche Kandidaten ausgesucht habe. Das ist wohl die Folge des Selbstschutzes, der für Tierschutzreisen erforderlich ist. Die Entscheidung, eine Tierschutzreise zu unternehmen, ist für mich stets hochemotional und die ganzen Reisevorbereitungen sind auch sehr emotional, eine Mischung aus großer Freude und Furcht vor dem, was einen diesmal erwartet. Aber wenn ich vor Ort bin, werde ich sehr rational und distanziert, anders ist es wohl nicht zu ertragen.

Als Anna und ich aber Ploiesti verlassen haben, war bei uns beiden große Trauer. Beide hingen wir unseren Gedanken nach, und es wurde im Auto auf der Fahrt nach Bukarest kaum gesprochen. Anna und ich hatten beide unabhängig voneinander, aber übereinstimmend den Eindruck, wir würden die Hunde jetzt im Stich lassen. Völlig verblüffend, wie weh der Abschied von einem so schauerlichen Ort tun kann. Und natürlich lassen wir die Hunde nicht im Stich. Anna wird Hunderte Bilder auf der PDR-Website veröffentlichen – sie verbringt jede freie Minute damit -, um den Hunden damit eine Chance auf Vermittlung zu geben. Ich werde mich bemühen, Hunde im Hamburger Tierschutzverein aufzunehmen und anderen Vereinen als Beraterin zur Verfügung zu stehen. Eine erste Anfrage gibt es.

Es ist so wichtig, realistische Vorstellungen von der Situation vor Ort zu haben, wenn man helfen will. In Ploiesti kann kein Mensch eine Hundebürste gebrauchen. Und das ist vielleicht schwer zu verstehen, wenn man nicht selbst die Verhältnisse kennt. Es ist nicht möglich, Hunde, die auf der Website von PDR vorgestellt werden oder sogar schon Adoptanten gefunden haben, zu sichern. Dort gibt es keine sicheren Plätze. Es ist das ständige Bemühen der beiden Tierschützerinnen vor Ort, Aniela und Mihaela, zu verhindern, dass die neu gefangenen Hunde ohne Rücksicht auf ihre Größe und Verfassung direkt in die Großausläufe geworfen werden.

Die „death kennels“ (Todesausläufe) haben daher ihren Namen, weil es üblich war, die Neuen dort hineinzupacken. Viele überlebten das nicht. Daher ist es auch schon wieder ein Fortschritt, wenn die Hunde jetzt in völlig überfüllte kleine Außenzwinger – und das ist wörtlich gemeint – geworfen werden.

Am letzten Tag bin ich zum Missfallen der Leitung und der Arbeiter nicht verschwunden, als die Ausladung der Tagesjagd begonnen hat: für die Toten die Schubkarre, für die Betäubten einen Wurf in die Außenzwinger, für die Anderen noch einmal die Qual der Fangschlinge. Ich habe ein neutrales Gesicht gemacht und nach der Ausladung wieder freundlich mit allen gesprochen und jeden Mitarbeiter angelächelt, wenn ich ihn traf. Den Aufstand probt man hier nur einmal. Ich will aber wiederkommen und schauen, wie es weitergegangen ist mit den Hunden und den Tierschützerinnen von Ploiesti.

5. August 2014

Nachdem wir Anna auf dem Flughafen abgesetzt und ich meinen Mietwagen übernommen hatte, ging meine über 400 Kilometer lange Reise nach Baile Herculane los. Rumänien ist ein Land der Extreme: herrliche Landschaft und Industriebrachen in von mir bisher unbekannten Ausmaßen. Eine Stadt wie Craiova, an der ich vorbeigefahren bin, verstört mich: Riesen-Raffinerien mitten in der Stadt – andersherum ist es wohl richtiger, dass die Stadt um die Raffinerie entstand mit riesigen Wohnblöcken, die entweder heruntergekommen sind oder auch schon vor dem Umbruch in Osteuropa keine gute Bausubstanz hatten. Nachdem ich die großen Städte hinter mir gelassen hatte, fuhr ich durch Dörfer, wo ich eine Landwirtschaft wie vor hundert Jahren vorfand: Pferdekarren mit passabel, wenn auch oft nicht gut aussehenden Pferden. Die Armut ist auch den Menschen ins Gesicht geschrieben.

Puten- und Hühnerscharen, Ziegen- und Schafherden passierte ich und mir wurde klar: Als Kuh, Pute oder Huhn möchte ich lieber in Rumänien auf dem Land leben als in Deutschland. Als es Abend wurde, holten die Leute ihre Tiere herein. Dann gingen sie mit ihrer gehörnten (!) Kuh auf der Straße nach Hause an einer Kette, die über die Hörner gestülpt war. Nasenringe habe ich nicht einmal gesehen. Locker und nach einem Tag auf der Weide recht zufrieden wirkend, trotteten diese Kühe – wie wir im HTV sagen würden, an der „lockeren Leine“ – hinter ihren Menschen her. Felder, auf denen das Gras zum Trocknen als Raufen aufgestellt wird. Ich habe noch nie zuvor gesehen, wie eine Putenschar nach Hause geführt wird, von Frauen und Männern, die sie freundlich zusammentreiben, denn nicht jede Pute hat Lust, die Weide freiwillig zu verlassen.

Aber auf der Fahrt begegnen mir viele Hunde, sehr viele tot gefahrene Hunde. Meine ständige Sorge war, selbst einen der Streuner anzufahren oder einen halbtoten Hund auf der Fahrbahn liegen zu sehen. Beides blieb mir erspart. In der Mittagszeit – es waren bis zu 34 Grad – sah ich nur trächtige oder säugende Hündinnen. Von den rumänischen Tierschützerinnen habe ich gute Hinweise zur schnellen Unterscheidung der beiden Zustände erhalten. Ich denke diese Hündinnen mussten auch in der Mittagsglut Nahrung sammeln, während die anderen Hunde zu dieser Zeit eher den Schatten suchten.

Es sind überall so viele Hunde. Die rumänische Regierung hat den Hunden den Krieg erklärt und sie führt diesen Krieg, aber sie wird ihn nicht gewinnen. Hier sage ich in den Gesprächen mit meinem eingeschränkten Englisch, dass diese Maßnahmen nur Make-up sind, keine Lösung. Tötung ist niemals die Lösung! Nicht bei Hunden, nicht bei Katzen, nicht bei Tauben. Flächendeckende Kastrationen würden das Problem viel schneller und nachhaltiger lösen. Aber niemand sollte sich Illusionen hingeben: Auch dafür benötigt man dutzende Jahre. Ein Lebensraum nimmt immer so viel Lebewesen auf, wie er – wenn auch schlecht – ernähren kann. Unter hohem Verfolgungsdruck steigen die Geburtsraten. Die Regeln der Natur kann auch die rumänische Regierung nicht besiegen.

Meine Ankunft heute hier im privaten Tierheim von PDR und Tierschützer Mishu hat mir wieder ganz andere Einsichten ermöglicht, aber dazu beim nächsten Mal mehr.

* Anna Langhammer ist die 2. Vorsitzende der Tierschutzorganisation ProDogRomania e.V.

Reisebericht, 4. Teil

11. August 2014

Heute ist mein letzter kompletter Tag in Rumänien. Morgen fliege ich zurück von Timisoara. Der Flughafen ist von Baile Herculane rund 180 km entfernt.

Ich freue mich darauf, noch etwas mehr von Rumänien zu sehen. Ich mag dieses Land und habe viele sehr schöne Erfahrungen mit den Rumänen gemacht. Hier auf dem Land sind sie häufig zunächst sehr zurückhaltend, fast scheu, das kann man schnell falsch deuten. Was habe ich geflucht, als ich mein ganzes Gepäck alleine in den ersten Stock der Pension in mein bescheidenes, aber gut zu bewohnendes Zimmer geschleppt habe. Ich musste lernen, dass man hier fragen muss und den ersten Schritt machen muss, dann bekommt man alle Hilfsbereitschaft und Unterstützung, die man braucht. So ist mir Lili, eine Beschäftigte der Pension, die etwas Englisch spricht, eine große Hilfe. Ihr muss ich erscheinen, wie ein Alien von einem anderen Stern.

Im Restaurant der Pension habe ich freien Internet-Empfang, daher nehme ich mein Frühstück und Abendessen dort ein, und Lili hat für mich gesorgt und verstanden, warum ich hier bin. An einem Abend hat sie zu mir gesagt: no smoking (ich wollte ein Nichtraucher-Zimmer), no alcohol (mein abendliches Ursus – ein hiesiges Bier – bestelle ich ohne Alkohol) and no eating animal products, that is great. Bestimmt bin ich die erste vegan essende Person, die sie kennengelernt hat. Und das in einem Land, in dem zu allen Mahlzeiten Fleisch und tierische Produkte in Mengen gegessen werden: Frühstück bedeutet hier oft Unmengen Eier als Omelett oder Rührei mit haufenweise gebackenem Speck oder Würstchen, zu jeder Tageszeit werden Schnitzel gegessen. Und das, obwohl ich in allen Markthallen traumhaftes Gemüse gesehen habe. Immer war ich ein bisschen traurig, dass mir hier zum Kochen die Möglichkeit und vor allem die Zeit fehlen. Denn meine Zeit gehört hier den Hunden.

In Ploiesti hatte der Tag noch etwas mehr Struktur, denn da mussten wir ja bis 16 Uhr die Auffangstation verlassen haben, damit die Arbeiter pünktlich Feierabend machen konnten. Danach besuchten wir Pflegestellen oder fuhren zu Tierärzten, abends war dann gemeinsames Tierschützerinnen- Essen angesagt. Hier in Baile Herculane ist der Shelter ein privater, im Wesentlichen errichtet und unterhalten von PDR, geführt von Mishu und seiner Frau Maria. Hier kann ich bis in die Nacht arbeiten, wenn ich mag und oft mag ich. Rund 240 Hunde leben in diesem Tierheim in deutlich besseren Verhältnissen als in Ploiesti.

Es gibt in Baile Herculane keinen Gemeinde-Hundefänger und keine Tötungsstation, solange der Tierschutz sich erfolgreich kümmert und Hunde, die weg sollen, aufnimmt. Ansonsten werden die Streuner toleriert und es gibt sehr viele von ihnen. Überall, wo ich parke oder einkaufe, sehe ich Streunerhunde. Hunde in einem akzeptablen bis ordentlichen Ernährungs-, wenn auch schlechten Pflegezustand. Manche sind verletzt und offensichtlich krank, aber nicht so dramatisch, wie man glauben mag. Der Karpaten-Rumäne scheint den Streunern in seiner näheren Umgebung eine Lebensmöglichkeit zu lassen bzw. sogar für sie zu sorgen. Selten habe ich beobachtet, dass sie gescheucht oder gehetzt werden. Die beiden Stadteingangshunde, wie ich sie nenne, die tagein tagaus hinter der Brücke, die nach Baile Herculane hineinführt, am Straßenrand liegen, scheuchen eher mich bzw. meinen Mietwagen aus ihrem Einflussbereich. Die Zustände dieses Tierheims sind vergleichbar mit dem, was ich aus Spanien von privaten Auffangstationen kenne, aber keinesfalls vergleichbar mit entsprechend großen deutschen Tierheimen. Alle Hunde werden mit Wasser versorgt und bekommen zumindest eine Mahlzeit am Tag. Jetzt im Sommer sind auch alle akzeptabel untergebracht.

Gleich in meiner ersten Nacht habe ich ein heftiges Gewitter mit Starkregen erlebt. Ich konnte hören, wie das Wasser die Berge heruntersprudelte. Aber seither ist es hier durchgängig sonnig mit Temperaturen bis zu 31 Grad. Schatten ist also das, was die Hunde sich derzeit am meisten in ihren Unterkünften wünschen. Doch bald kommen Herbst und Winter. Der Regen, der dann von den Bergen herunterfließt, ist üppiger. Insbesondere die Welpen benötigen dann dringend mehr als ein Sonnensegel über ihrem Kopf. Der Trupp handwerklich begabter Männer aus Deutschland wird kurz nach meiner Abreise ankommen und eine Welpenunterkunft bauen. Mishu hat mich gleich am ersten Tag gelöchert, was ich meine, was und wie gebaut werden sollte. Etwas überfordert fühlte ich mich, ihn zu beraten, aber nachdem ich meinen Hang zum Perfektionismus mit meiner dann doch auch vorhandenen Gabe zum Pragmatismus niedergerungen hatte, begannen wir mit den Planungen. Von dem Bautrupp aus Deutschland war die Größe des Gebäudes vorgegeben worden. Wir haben die richtige Lage auf dem großen Gelände gesucht und die Ausrichtung und die räumliche Aufteilung überlegt. Auf dieser Basis wurde nun mit den Fundamentarbeiten begonnen. Genau das ist ja auch Zweck meiner Reise, all das, was ich an Wissen in mehr als zwanzig Jahren im Umgang mit und der Betreuung von Hunden erfahren durfte, weiterzugeben. Das verstehe ich auch unter Auslandstierschutz. Lieber nenne ich ihn „internationalen Tierschutz“, weil Ausland hat in der deutschen Sprache und oft auch Haltung so viel zu tun mit auseinander, ausgrenzen, draußen sein und häufig auch draußen bleiben.

Alles ist für die Welpen besser, als die jetzige Situation in nur mangelhaft umzäunten Ausläufen, die ihnen ermöglichen auszubrechen oder sich herauszubuddeln. Und damit bringen sie sich in Gefahr, denn auf dem Gelände leben mindestens sechzig Hunde frei. Es ist hier so wie überall in Auffangstationen oder Tierheimen: Die Cleveren, Intelligenteren kommen schlechter mit der Situation des Eingesperrtseins klar, bringen sich dann selbst in Gefahr bei den Versuchen, sich mehr Freiheit zu erobern. So wie die schwarze Schäferhündin, die ich nun mehrere Tage bei ihren Kletteraktionen im offenen Hundehaus beobachten konnte. Wenn es Futter gibt, schaut sie schon mal auf der anderen Seite, ob da schon oder noch etwas ist. Dafür klettert sie an einer hohen Metallwand empor und bringt sich, wenn sie mal an die Falschen gerät oder die Richtigen einen schlechten Tag haben, in Lebensgefahr.

Überhaupt sind die Schäferhunde in Rumänien nach meiner Wahrnehmung und dem, was ich erfragen konnte, die beliebteste Rasse in Rumänien. An zweiter Stelle folgt der Dackel. Beide Rassen sieht man daher häufig, manchmal auch in den wildesten Mischungen in den Auffangstationen. Bedauerlicherweise brauchen beide Hunderassen eine Aufgabe, Arbeitshunde sozusagen, die in der Unterbringung und Betreuung daher anspruchsvoll sind. Schon in Deutschland stößt mich die Rassegläubigkeit der Leute ab: Da darf es kein Mischling aus dem Tierheim sein, sondern es muss ein Rassehund vom Züchter her. In Rumänien offenbart sich mir der komplette Irrsinn dieser menschlichen Verwirrung: Auf der einen Seite tausende Streunerhunde in den Auffangstationen, Vernichtung von unzähligen wundervollen Lebewesen und auf der anderen Seite flimmert abends beim rumänischen Fernsehsender „Pro TV“ die Pedigree-Werbung über den Bildschirm – natürlich mit einem reinrassigen Dackel. Kurz hatte ich den Impuls, dem US-amerikanischen Nahrungsmittelkonzern Mars, der Pedigree produziert, zu schreiben, ob sie sich in einem Land wie Rumänien nicht für diese Werbung schämen. Na ja, Konzerne, die sich schämen – tief in mir drin bin ich eine Träumerin. Wenn – was selten genug vorkommt – Leute in eine Auffangstation kommen, um einen Hund zu adoptieren, dann meist Welpen, aber immer muss die Rasse stimmen. Daraus kann ich den Rumänen kaum einen Vorwurf machen, denn auch in Deutschland sind noch die meisten Hunde Rassehunde und nach meiner Kenntnis nur ein Viertel der Hunde aus dem Tierschutz. Und wir sind in Deutschland der rumänischen Bevölkerung nach meiner Einschätzung in der Entwicklung des Tierschutzes ca. 50 Jahre voraus.

Am liebsten würde ich den ganzen Tag irgendwo auf dem Gelände sitzen und die Hunde beobachten. Es gibt Gruppenzwinger, in denen von zwei Hunden bis einer Gruppe von bis zu zehn Hunden leben. Bei der Zweier-Besetzung ist allerdings eine stattliche Cane Corso-Hündin dabei. Sie hat mir ihr Körpergewicht von mindestens 60 Kilogramm beim Versuch, schöne Fotos von ihr zu machen, in aller Zuneigung immer wieder entgegengeworfen, so dass dieser Versuch, alleine von ihr Fotos zu machen, kläglich scheiterte. So lange ich konnte, habe ich das Spiel „Sie-ist-die-Kugel-und-ich-bin-der-Kegel,-der-versucht-nicht-zu-fallen“ mitgemacht. Sie hat sich halt so über meinen Besuch gefreut. Von draußen konnte ich dann mit Mishus Unterstützung Fotos machen und so hoffe ich, dass Lori irgendwann mit Unterstützung meiner Bilder ihre Leute findet.

Daneben die Ausläufe für Junghunde, ungezählte Nasen die sich mir entgegenstrecken. Und dann eben die große Anzahl frei auf dem Gelände umherlaufender Hunde. Hier kann man so viel über hündisches Verhalten lernen. Nicht nur Schönes. Wenn aus irgendeinem Grund die Hatz auf einen der Hunde beginnt und wir das hohe Schreien der Gehetzten, Unterlegenen oder bereits Verletzten hören, lassen wir alles stehen und liegen und rennen jeder aus der Ecke, wo er gerade arbeitet, los um das Schlimmste zu verhindern. Niemals direkt dazwischen gehen, wenn ich die Hunde nicht kenne, habe ich mir zur eisernen Regel gemacht und ich bin auch noch nie von einem Hund ernsthaft verletzt worden. Ein Wasserstrahl, ein Wasserguss, heftige Geräusche oder ein ganz hohes „Singen“ meinerseits, haben mir bisher immer geholfen; und wenn nur insofern, dass ich die geifernde und anfeuernde Hundemenge von den Kämpfenden ablenken konnte und der Kampf seine Heftigkeit verlor.

Aber vor allem sehe ich unterhaltsames oder berührendes Hundeverhalten. Besonders spannend für mich die Integration von Neuankömmlingen. Alle Ausläufe sind gut besetzt nicht überfüllt, aber auch nicht mehr wirklich aufnahmefähig. Die Neuankömmlinge – gestern ein kräftiger Schäferhund-Mischlingsrüde mit breitem Schädel – stehen zunächst einige Stunden vor dem Tor der Auffangstation in einer Hundebox. Wenn das Interesse der vielen Drinnen nachgelassen hat, kommt der Hund in der Box auf das Gelände, da geht dann wieder das Verbellen und Attackieren los. Der nächste Schritt ist dann, dass der Hund mit geöffneter Box oder in einer Holz-Hundehütte auf dem Gelände untergebracht wird. Oder es wird entschieden, in welchen Auslauf er passen könnte. Eine Malinois-Hündin, die erst seit zwei Wochen hier ist, bewegt sich nur aus ihrer Hütte und wenige Meter hinter ihre Hütte. Mehr gestehen die anderen Hunde ihr noch nicht zu. Sie ist auch dem Menschen gegenüber scheu und wird wohl sehr lange, wenn nicht für immer, hier leben. Wenn ich mit der Kamera anrücke, versteckt sie ihren Kopf unter einem Vorderlauf. Aber als ich einmal lange genug mit der Kamera vor dem Gesicht sitzengeblieben bin, konnte ich sie in ihrer ganzen verlegenen Schönheit fotografieren.

Einen großen Schäferhund, der auch neu ist und eine Hütte unweit von ihr bewohnt, habe ich bisher nur nach Einbruch der Dunkelheit außerhalb der Hütte gesehen, wenn die ganzen anderen Hunde ruhen oder schlafen.

Eine neue Erkenntnis nehme ich nach Deutschland mit: die umfassende Bedeutung eines Sandberges für eine Hundegruppe. Auf dem Gelände sind alte Sandhaufen-Reste von Bauarbeiten. Diese geben den Hunden mannigfaltige Beschäftigungsmöglichkeiten zum Buddeln, zum Anpinkeln der neben den gebuddelten Löchern liegen die Buddelhaufen, zum Rennen durch den Sand, dass er fliegt… Aber ein neuer großer Sandhaufen, wie er von einem Kipplaster angeliefert und für die Fundamentarbeiten des Welpenhauses aufgeschüttet wurde, ist das Größte. Soviel Beschäftigung und so viele Möglichkeiten, sich über- und untereinander zu legen! Gipfelstürmer und Maulwürfe gab es dann auch hier und Junghunde, die sich im Rutschen und Rollen übertroffen haben. Eine günstige und effektive Maßnahme gegen Hunde-Langeweile in der Auffangstation oder im Tierheim.

Soviel wollte ich gar nicht über das Verhalten der Hunde schreiben, und es macht vielleicht den Eindruck, hier gäbe es Muße zur Tierbeobachtung. Tatsächlich mache ich meine Beobachtungen nur, wenn ich von der Arbeit aufschaue und Arbeit gibt es hier ohne Ende. Beim Fotografieren, einer „riskanten“ Arbeit, wurde ich doch heute angepinkelt. Da es so heiß war und mir sowieso der Schweiß lief, merkte ich es auch erst, als ich bis auf die Unterwäsche klitschnass war. Was hocke ich da auch in dem Auslauf rum wie ein Stein?! Mein Pferdeschwanz wurde nicht getroffen. Das beruhigte mich. Er ist aber ein wunderbares Spielzeug für die Junghunde: Oh wie schön kann man auf ihm Herumkauen und an ihm zerren!

Meine weiteren Arbeiten: in der improvisierten Krankenstation beim Kastrationstag waschen, putzen aufräumen und Hunde baden oder frei schneiden. Die Auswahl der Hunde, die mit dem nächsten Transport mitkommen in ein neues Leben, fordert mich auch. Sie machen anderen Platz, damit diese eine Zuflucht finden können hier im Tierheim in Baile Herculane.

Aber auch das Beobachten der Hunde zähle ich zu meiner Arbeit. Denn mein Credo ist: Ich kann nur dem adäquat helfen, den ich kenne und in seinen Bedürfnissen und Möglichkeiten verstehe. Das gilt für mich für Menschen wie für Hunde.

Reisebericht, letzter Teil

14. August 2014

Jetzt sitze ich am Flughafen von Timisoara und warte auf meinen Flieger nach München, von dort geht es weiter nach Hamburg. Ich bin über 900 km durch Rumänien gefahren und habe dabei so viele Eindrücke gesammelt und so viele Erfahrungen gemacht. Die Landschaft zwischen Baile Herculane und Timisoara war herzzerreißend schön, die Ausläufer der Karpaten sind ein Erlebnis. Als das Land dann flacher wurde, sah ich viele Störche auf den Feldern stehen. Also Tierschützer, reist nach Rumänien! Man muss nicht in den Auffangstationen arbeiten, aber man kann mit seinen Ausgaben für die Entwicklung des ländlichen Raumes sorgen und wenn man dann einfach nur nett nachfragt, wer denn für die Streuner sorgt, ist das doch auch schon ein bisschen eine Tierschutzreise.

Die Aufgaben einer Tierschutzreisenden im Tierheim Baile Herculane

Was habe ich gemacht in Baile Herculane: Nichts anderes als das, was Tierpfleger überall auf der Welt am meisten machen: aufräumen, putzen, spülen und waschen. Nur eben unter etwas anderen Bedingungen. In der Auffangstation gibt es zu jeder Zeit und mit ordentlichem Druck Wasser. Das war nicht überall in den Stationen, die ich kenne der Fall, und damit war es für mich ein Anlass zur Freude. Das Wasser ist auch noch kostenlos, denn es ist der Regen, der an den uns umgebenden Berghängen abregnet, über natürliche Rinnsale herunterläuft, in Leitungen geführt und in den Tanks auf dem Gelände gesammelt wird. Daher ist es kein klares oder für Menschen trinkbares Wasser. Es ist versetzt mit Erde und Sand, sieht also immer ein wenig wie Schmutzwaser aus. Für meine kleine Krankenstation, deren Betreuung ich vom ersten Tag an übernommen habe, stellte ich schnell fest, dass es hilfreich ist, das Wasser in leeren 5 Liter Mineralwasser-Plastikbehältern eine Weile stehen zu lassen und die Näpfe dann vorsichtig zu füllen, so war es fast klar.

Tierschicksale

Meine Pflegefellchen vermisse ich jetzt sehr. Heute Morgen habe ich mich von ihnen verabschiedet. Unter ihnen ein kleiner Rüde mit vor zwei Wochen operiertem gebrochenen Bein, ein Junghund mit schwerem Husten, ein ganz zartes Wesen und ich hoffe sehr, er schafft es. Klarissa, eine zerbissene Hündin, deren große Wunden gut abheilen, die aber schon ohne die großflächigen Narben, die sie jetzt ihr Leben lang zeichnen werden, nicht den üblichen Schönheitsidealen – die ja auch für Hunde herrschen – entspricht. Aber sie ist so reizend. Ganz brav hat sie auf ihre Mahlzeiten gewartet, und auch wenn es für sie aufgrund ihrer Größe (kniehoch) ein Leichtes gewesen wäre, aus den vorbereiteten Essensnäpfen zu klauen, wenn ich mich umdrehte, wäre ihr das nie in den Sinn gekommen. Ich hoffe sehr, sie findet ihre Menschen. Eigentlich könnte sie die Krankenstation längst verlassen, aber die Sorge bei allen ist immer groß: Wer einmal Opfer wurde, hat eine hohe Wahrscheinlichkeit, es in der nächsten Gruppe wieder zu werden, also bleibt sie drinnen. Ein sicheres aber auch ein eintöniges Leben, denn einen Auslauf oder ähnliches besitzt die improvisierte Krankenstation, die eigentlich nur der Aufwachraum neben dem Kastrationsraum ist, nicht.

Die Biss-Verletzungen der Hunde sind für mich recht speziell, denn häufig werden die Hunde nicht in Hals oder Bauch gebissen, sondern es wird ihnen im wahrsten Sinne des Wortes das Fell abgezogen, das gibt sehr große schauerlich aussehende Verletzungen. Ich habe keine Ahnung, wie dieses Verhalten der Hunde zu erklären ist und ich kannte es so auch noch nicht. Mal sehen, ob ich zu Hause was dazu nachlesen kann.

Eine Erkrankung kommt mir hier auch sehr oft unter. Das ist die Staupe, in Deutschland weitgehend unbekannt, weil sie durch die Impfungen der Hunde ausgemerzt ist. Leider haben die Streuner niemanden, der sie impft, und die eigenen Hunde werden hier von den Haltern nur im Einzelfall geimpft. Es gibt verschiedene Formen der Staupe und viele Hunde sterben an der Staupe. Sie kann aber auch ausheilen und die Hunde sind keine Ansteckungsgefahr für andere. Häufig behalten die Hunde aber einen nervösen Tick zurück, oft von der Schnauze ausgehend in eine vordere Gliedmaße ziehend oder die hinteren Gliedmaßen sind betroffen.

Sehr schwer ist das Schicksal dieser Hunde, weil der Tick an der Schnauze sie am schnellen Essen hindert. In Ploiesti fast ein Todesurteil, hier in Baile Herculane ein heftiges Handicap, denn die Hunde leben in Gruppen und jeder muss auch beim Essen sehen, wo er bleibt.

Gleich an meinem zweiten Tag in der Auffangstation fand ich bei einem Rundgang ein ausgemergeltes schwarzes „Etwas“ in der Sonne liegend und nach Luft japsend wie ein Fisch auf dem Trockenen. Das „Etwas“ konnte und kann seine Hinterläufe nicht richtig einsetzen, sondern schleift sie hinter sich her. Und das ist der Unterscheid zu Ploiesti, dort habe ich die Sterbenden nur in den Schatten gelegt, weil angesichts der Masse und der Bedingungen Hilfe – auch Sterbehilfe – nicht realistisch ist. Hier habe ich das kleine Mädchen Namenlos mitgenommen in die improvisierte Krankenstation. Selbst wenn sie keine Chance hat zu überleben, wollte ich ihr noch einmal Fürsorge zukommen lassen und ihre möglichst zeitnahe Einschläferung veranlassen. Ich habe geschafft, dass sie etwas trank und wenig später auch kleine Bröckchen Welpen-Nassfutter fraß. Sie hat mich von der ersten Minute an nicht mehr aus den Augen gelassen, ständig folgte mir ihr Blick. Als die Tierärzte dann kamen, bat ich sie um die Einschläferung. Ich erfuhr, auch das kleine Mädchen Namenlos hat Staupe und wurde bereits zwei Wochen mit Medikamenten versorgt. Nur was hier auf der Station nicht geleistet werden kann, ist die Pflege und Fürsorge, die ein so schwer krankes Tier benötigt. Dann besser gleich einschläfern? Ich kann das nicht gut entscheiden, ich bin keine Tierärztin. Abstrakt sage ich „ja“, bitte lieber zu früh als zu spät einschläfern. Aber was macht man dann, wenn so ein kleines Etwas am zweiten Tag und nur ein wenig mehr bei Kräften schon auf einen zugerutscht kommt, wenn man die Futterdose mit in den Raum bringt und einen stets im Auge behält. Die Tierärzte wollten noch nicht einschläfern und so habe ich darauf bestanden, dass sie sie dann aber mit zu sich in ihre Praxis nehmen, wo sie täglich behandelt werden kann und die Entscheidung, dass es evtl. keinen Sinn mehr macht, schnell umgesetzt werden kann. Ich mache keine Bilder von sterbenden Tieren, wenn ich nicht einen ganz klaren und aus meiner Sicht wichtigen Grund dafür habe. Denn ich empfinde dies als Verletzung ihrer Würde. Als Mädchen Namenlos aber eingepackt wurde, um mit den Tierärzten nach Hause zu fahren, habe ich sie fotografiert. So oder so, ich habe alles für sie getan, was ich konnte. Auf Tierschutzreisen lernt man immer wieder die eigene Begrenztheit kennen. Wenn sie es schafft (was ich leider nicht recht glauben kann), wird sie sicher einen schweren Tick zurückbehalten. Meine Mutter und ihr Mann würden sie dann aber zu sich nehmen.

Kastrationstag in Baile Herculane

Die Tierärzte haben ihre Praxis rund 50 km von der Auffangstation entfernt, ein Tierarzt direkt in Baile Herculane ist nicht verfügbar. Sie kommen zweimal in der Woche, um zu behandeln oder zu kastrieren. Einen Kastrationstag habe ich mitgemacht, ein echter Knochenjob. Um 15 Uhr – nach einem Arbeitstag in der eigenen Praxis – kamen die beiden jungen Tierärzte Adriana und Darius (ein Ehepaar) in der Auffangstation an und schauten zunächst nach ihren Patienten. Danach begannen die Kastrationen. Zuerst waren die Rüden dran, denn die werden ein paar Stunden nach der Kastration wieder in die Gruppen gesetzt, aus denen sie kommen. Dann erst die Hündinnen, die einen Tag oder auch zwei in dem Aufwachraum bleiben können, wenn er nicht zu überfüllt ist mit kranken und noch neuen ungeimpften Tieren. Ich habe die zur Kastration anstehenden Tiere hereingeholt und nach der Kastration auf sie geachtet. Die Kastrationen gingen bis 23 Uhr, da hatten wir dann 15 Hunde und eine Katze geschafft. Und ich war geschafft.

Es ist für mich so bemerkenswert, dass alle Hunde – auch die, die durch Schmerzen gezeichnet sind – so brav und dankbar sind. Meine einzige Verletzung bei dieser Reise habe ich mir selbst zuzuschreiben: Da habe ich doch versucht, einem Hund eine leere Feuchtfutterdose – trotz seines großen Wunsches, nicht herzugeben – wegzunehmen. Denn auch um eine so blöde leere Dose kann es untereinander heftigen Streit geben. Als er kurzerhand die Dose mit seinen Zähnen zusammengedrückt hat und mein rechter Mittelfinger schmerzhaft in der Dose gequetscht wurde, habe ich dann doch nachgegeben.

Eine unerwartete Begegnung und ihre Folgen

Auch mein letzter Abend ist völlig anders verlaufen als ich geplant hatte. Aber das ist eh eine Lehre aus meinen Tierschutzreisen: Plane nicht, nehme wahr, reagiere strukturiert und kontrolliert, sei offen und flexibel, immer ist alles anders als man es sich vorstellt.

An meinem letzten Abend wollte ich die Auffangstation einmal früher verlassen. Ich hatte versprochen noch Bilder, zu meinem Bericht auszusuchen und an die Abteilung Öffentlichkeitsarbeit des HTV zu mailen. Meinen Koffer musste ich auch noch packen. An einem kleinen Supermarkt an der Landstraße, der auch von vielen Lkw-Fahrern frequentiert wird, machte ich – wie schon an anderen Abenden – einen Halt, weil ich tagsüber nicht zum Einkaufen gekommen war und es für das Restaurant in der Pension zu spät war. Mit Obst und Cola für den nächsten Tag kam ich wieder heraus und mich traf der Blick einer blonden mittelgroßen Hündin. Ich konnte mich ihr nicht so schnell entziehen, wie all den anderen vorher.

Grundsätzlich habe ich so wenig Reisestopps wie möglich eingelegt, ich hatte kein Futter im Auto. Was hätte ich tun sollen mit all den Hunden, die dann zu mir gekommen wären – eine Mahlzeit und dann? Zudem wollte ich nicht noch mehr dafür sorgen, dass die Hunde an den Landstraßen stehen und liegen. Natürlich kann man es auch anders machen, ich jedoch habe es für mich so entschieden.

Diese Hündin kam aber direkt auf mich zu. Sicher roch sie die Dutzenden anderer Hunde meines Arbeitstages. Ich setzte mich also zu ihr und begann sie zu streicheln. Eine Hündin, wahrscheinlich tragend. Mein Verhalten, auf den Stufen des Supermarktes einen Hund zu streicheln, erregte die Aufmerksamkeit von Taxifahrern, die dort auf Kundschaft vom nahe gelegenen kleinen Bahnhof warteten und den Händlerinnen aus den kleinen Supermärkten und Imbissbuden. So hatte ich die Möglichkeit nachzufragen, ob jemand für die Hündin Sorge trägt, ob sie gar jemandem gehört. „Nein, sie ist ein stray (Streuner)“, erfuhr ich. Sie gehört Niemandem, sie gehört der Gemeinde, lebt seit ca. einem Jahr hier an der Landstraße. Sie drückte sich an mich und schaute mir ständig direkt ins Gesicht. Eigentlich habe ich immer gelesen, Hunde tun das nicht gerne und mögen es auch nicht, aber auch bei meiner Irmi – einer ehemaligen Straßenhündin von der kanarischen Insel La Palma -habe ich genau dieses Verhalten erlebt: der durchdringende lange Blick in meine Augen und irgendwie damit in mein Herz. Ich nahm die Hündin in meinen Arm, erklärte, ich würde sie jetzt mitnehmen und wo sie zu finden sei, wenn sich doch jemand für sie interessierte, bat die Umherstehenden mein Auto zu öffnen und dort meinen gerade erworbenen Proviant zu verstauen. Eine Supermarktverkäuferin bedankte sich überschwänglich bei mir. Ich setzte die Hündin in den Fußraum meines kleinen Mietwagens. Sie rollte sich zusammen und schaute mich weiter an. Ich drehte mit dem Wagen und fuhr zurück zur Auffangstation. Dort traf ich gegen 23 Uhr noch die Tierärztin Adriana an. Sie war damit beschäftigt neu angekommene Welpen zu impfen und jetzt schleppte ich auch noch einen Hund an. Ein bisschen war es mir peinlich. Ich habe der Hündin den Namen Roma gegeben und Geld für ihre Kastration dagelassen (über ProDogRomania kann jeder mit einer Spende von 30 Euro eine Kastration ermöglichen). Ich habe zugesagt Roma zu übernehmen, wenn sie reisefähig ist.

Adriana impfte sie noch in der Nacht und wollte sie am übernächsten Tag kastrieren, niemand braucht noch mehr Welpen auf den Straßen oder in den Auffangstationen in Rumänien.

Es ist völlig richtig, den Stopp der Tötungen der rumänischen Streunerhunde zu fordern, aber das allein reicht nicht! Wir werden nicht umhin kommen, dem rumänischen Tierschutz solange zu helfen, bis andere Lösungen greifen. Eigentlich wäre es richtig, Roma nach der Impfung und Kastration an ihren Standort zurückzusetzen. Aber solange das Tötungsgesetz in Kraft ist, ist das eine sehr schwere Entscheidung. Ich bin nicht in der Lage, für diese eine Streunerin so zu entscheiden. Ich will sie nicht mehr an der Landstraße leben lassen.

Auf meinem Weg zum Flughafen tankte ich in Timisoara meinen Mietwagen voll. Auf der Tankstelle kam mir ein kleiner und noch recht junger Streuner fröhlich entgegen. Ich schaute weg, so sehr ich konnte. Ich fragte die Beschäftigte der Tankstelle, ob jemand für ihn Sorge trägt. Sie verneinte dies, er lebe hier einfach.

Kleiner Kerl von der Tankstelle, wie froh war ich, dich von der Tankstelle und der Straße weg zu den Wohnhäusern trotten zu sehen und hoffe da ist jemand, der ein wenig Sorge für dich trägt. Ich konnte es leider für dich nicht sein.

Denn nein, ich kann nicht alle retten, aber ein paar schon und deshalb war ich hier.