Schweine kennen lernen 

Spielen Sie auch manchmal Lotto? Träumen Sie vom Gewinnen und planen Sie was Sie dann mit dem Gewinn anfangen? Ich mach das. Tatsächlich ist es mein bester Einschlafgedanke. Ich stelle mir vor, ich hätte gewonnen, vorzugsweise zweistellige Millionenbeträge. Und dann geht es los. Ich stelle mir dann keine Weltreisen vor oder Partys in den angesagtesten Clubs, auch keine Einkaufsorgien. Ich überlege dann, was ich damit im Tierschutz machen würde. Ich frage mich, mit welchen Menschen ich dann zusammenarbeiten möchte. Ich erfreue mich an dem Gedanken, dann meine gesamte Kraft und Zeit auf das Wohl der Tiere konzentrieren zu können. Ok, die ein oder andere Annehmlichkeit erträume ich mir dann gleich mit: Behördliche Genehmigungsverfahren für meine Vorhaben würden andere bearbeiten.

Aber ganz schnell bin ich dabei Lebensräume für Tiere zu erdenken und zu bauen. So hab ich in Gedanken schon die Horner Rennbahn in eine Stadt der Tiere umgebaut. Aus diesem Ort der gnadenlosen Ausbeutung von Pferden aus Eitelkeit und Profitgier wird ein Lebensraum für Rinder, Schweine, Gänse, Hühner. Auch Pferde dürften dort ohne Nützlichkeitsdiktat leben. Ich erträume mir, dass all die Städter*innen, vor allem die jungen dann mal Schweine kennenlernen dürfen anders als als Grillfleisch oder Burger. Schweine gehören zu meinen Lieblingstieren und es tut mir so gut mir vorzustellen, wie ich für eine Rotte ein ordentliches Gelände suche, Suhlen baue, Unterkünfte plane. Klar, alle Tiere wären Gerettete, gerettet vor länderübergreifenden Tiertransporten, gerettet vor dem Schlachter.  

Die Horner Rennbahn hab ich nicht an einem Abend umgebaut, das wäre ja eine schlaflose Nacht geworden, das entwickelt sich dann über Wochen. 

Bitte lassen Sie meine Träume jetzt nicht an Ihrer Realität zerplatzen. Ich weiß auch was alles nicht sein wird und was alles nicht geht. Dennoch haben diese Einschlafphantasien für mich eine heilsame Wirkung, denn sie lassen mich auch nach einem Tag voller Anstrengungen und trauriger Tierschutznachrichten schnell und entspannt einschlafen. Und es hat noch einen anderen Effekt, wenn ich mir vorstelle ich hätte den Millionengewinn und könnte nun alles tun und mache dann Tierschutz. Dann weiß ich, dass ich die richtigen Prioritäten in meinem Leben setze. Ich will Tierschutz machen, so gut ich kann.  

So gut ich kann. Das wirft neue Fragen auf. Die sind nix für abends, da denke ich tagsüber drüber nach, denn da komm ich schon ins Grübeln. Eine meiner wesentlichsten Tierschutzgrübelfragen ist, wie bekommt man es hin Menschen auch die Tiere nahe zu bringen, die sie meist ohne Empathie und Nachdenken für ihre Bedürfnisse nutzen. Nehmen wir mal wieder meine geliebten Schweine für die ich in meiner Tierschutzarbeit fast kaum was tun kann. Aber was ist überhaupt der wirksamste Weg. So wie in meinen Einschlafphantasien den Menschen zeigen wie Schweine sind, wenn sie artgerecht leben dürfen, ihre natürlichen Bedürfnisse ausleben können, wie sie miteinander sind und wie sie auf Menschen reagieren, wenn sie sich ihnen in friedvoller Absicht nähern? Würden Schweine-Videos dann irgendwann so gerne betrachtet werden wie Katzen-Videos und würde die Idee Schweine zu essen dann irgendwann als das angesehen werden was sie ist, als überflüssige Brutalität. 

Was würde uns helfen die von Melanie Joy* als Mythen bezeichneten drei „Ns des Karnismus, also der Ideologie des Tierenutzens, zu entlarven. Normal, natürlich und notwendig erscheint vielen Schweine zu essen. Nichts davon ist es tatsächlich. Wäre es einfacher das zu begreifen, wenn man mal in einer Schweinezuchtanlage stehen würde, wirklich sehen würde was das Leben einer Muttersau ist oder sich auch mal eine Schlachtung ansehen würde. 

Das sind keine rein theoretischen Fragen für mich, sondern sie sind ja wichtig bei den Überlegungen wie wir tagtäglich wirksamen Tierschutz machen können. Ich weiß nicht, was die bessere Strategie ist. Wir versuchen ein bisschen beides. Ihnen die entsetzlichen Lebensbedingungen von Tieren in der Agrarindustrie zu zeigen, aber Ihnen auch diese Tiere als Individuen näher zu bringen. 

Na ja, vielleicht werden auch irgendwann mal Träume wahr und Stadtmenschen können Schweine persönlich kennenlernen….eine sehr bereichernde Erfahrung, die ich jedem von Herzen gönne. 

verfasst Juli 2016 

 

* Prof. Dr. Melanie JoyWarum wir Hunde lieben, Schweine essen und Kühe anziehen ISBN 978-3-9814621-7-3