Die radikale Freiheit des Menschen 

Ich muss das jetzt mal schreiben. Diese Kolumne schreibe ich für Sie, aber auch für mich, denn manchmal kann ich es einfach kaum noch ertragen. Kann nicht ertragen, was ich sehen und hören muss und dann hilft es mir was zu tun oder auch zu schreiben. 

Ich kranke manchmal an dieser Welt, am Menschen. All das sinnlose Leid auf dieser Welt, das seinen Geschöpfen angetan wird. Ich denke das Leid das einfach so in der Welt ist ohne menschliches Zutun könnte ich noch ertragen, ertragen als die andere Seite zu Freude und Liebe. Ja, ich kann verstehen das es immer auch das Gegenteil gibt: Leben und Tod, Freude und Leid. 

Aber dieses monströse Leid, dass wir Menschen in diese Welt tragen, das nimmt mir die Luft zum  Atmen und manchmal denke ich es wird mir den Verstand nehmen, weil es meinen Verstand überschreitet.  

Es ist die radikale Freiheit des Menschen, die diese Welt zu dem macht, was sie ist. Diese radikale Freiheit bedeutet, obwohl man weiß, was richtig ist, obwohl man weiß was moralisch ist, kann man  jederzeit entscheiden sich völlig anders zu verhalten. 

Es gibt keine automatische Verknüpfung zwischen Vernunft und Handeln. Trotz geistiger Reife und Bildung kann Mensch sich radikal böse verhalten. 

Diese radikale Freiheit des Menschen ist das was uns erhebt und zu Boden wirft. Ich kann nicht sehen, dass wir dadurch die besseren Tiere oder die höhergestellte Spezies sind. Das könnte doch nur sein, wenn unsere Begabung zur Vernunft und zur Moral auch zwingend Auswirkungen hätte. 

So ist es für mich aber, dass jede großartige Errungenschaft des Menschen auf eine armselige bösartige andere Seite trifft. Wäre es nicht besser gewesen, es wäre bei dem Instinktwesen Tier geblieben, dass zwar alles tut zur Erhaltung der eigenen Art, aber kein intellektuelles Interesse entwickelt hat, Andersdenkende oder Andersgläubige auszurotten. Das die Gabe hat seine Bedürfnisse auch mal als befriedigt anzusehen und nicht nach ständig mehr zu streben und darauf verzichtet über gänzlich unnötige Leichen zu gehen. 

Alles Mögliche erfindet Mensch um seine radikale Freiheit in Bahnen zu lenken Gott, Herrscher und Gesetze und doch bleibt es bei der Verantwortung des Einzelnen. 

Ich bin nicht in der Lage, die geistigen oder künstlerischen Leistungen des Menschen so hoch zu bewerten, dass sie das menschgemachte Elend aufwiegen. 

Jede Bach Sonate, jede Michelangelo Freske verblast doch als Leistung der Menschheit,  wenn nur ein Kind auf der Flucht vor Krieg und Elend im Mittelmeer erbärmlich ersäuft, wenn in Afrika dem Kontinent auf dem maßgeblich unser hiesiger Wohlstand beruht, Menschen auch heute noch an Hunger sterben, während wir unfassbare Mengen an Nahrungsmitteln dadurch vernichten, dass wir sie an unsere Nutztiere verfüttern. 

Die Philosophin Hannah Arendt hat mir beim  Denken und Leben geholfen, in der Auseinandersetzung mit den Aussagen von Adolf Eichmann hat sie ihre Erkenntnis von der Banalität des Bösen erlangt. Es muss um nichts gehen, nichts Großes, nichts Heiliges, damit der Mensch böse wird und sich an einem unfassbaren Grauen beteiligt. Nicht mal überzeugt muss Mensch von dem was er tut sein, um es dennoch zu tun und damit wirklich unbegreifliches Leid anzurichten.  Es reicht, dass es einfach ist und andere es auch tun. Fritz Bauer, der Generalankläger in den Auschwitz-Prozessen hat auf die Frage, warum Menschen sich an dem größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte beteiligt haben, geantwortet: Sie haben es getan für den kleinen persönlichen Vorteil. Das Lesen dieser Antwort hat mich als junge Juristin umgehauen. Ich wollte doch das Menschen wenigstens  wegen ihrer Überzeugungen, seien sie noch so verwirrt und falsch, wegen großer Ideen, vielleicht verblendet von vermeintlichen Heiligen oder Führern Grausamkeiten begehen. Die Erkenntnis, dass junge deutsche Soldaten sich für ein paar Zigaretten freiwillig für die Erschießung von Zivilisten gemeldet und damit Kriegsverbrechen begangen haben, hat mein Denken und Fühlen tiefgreifend bewegt. 

Mich treiben diese Erkenntnisse so geistreicher Menschen um und ich versuche sie zu akzeptieren. Ich versuche damit zu leben. 

Ich versuche damit zu leben, dass Menschen sich Pelzkragen ohne jeden Nutzen zu ihrem Schmuck umhängen und wenn man sie fragt, warum dafür ein Tier sterben musste, schämen sie sich nicht mal für die Antwort: Na, das finde ich auch nicht so gut, aber darüber mache ich mir keine Gedanken, haben doch alle. 

Ich sollte was Positives schreiben. Ja, auch für mich. Diese radikale Freiheit des Menschen ist wohl ein Fluch, wir sind nicht unschuldig. Es ist keine Großartigkeit sich gegen das Elend in dieser Welt aufzulehnen, sondern aus meiner Sicht unsere Pflicht geboren aus genau dieser Freiheit tun zu können, was wir wollen. 

Wir sind frei zu handeln, wir sind frei unsere Leben zu füllen. Machen wir was daraus. 

verfasst November 2016