Das trostlose Leben einer Tierschützerin 

Immer wieder stelle ich fest, dass ich anscheinend für manch andere Menschen ein trostloses Leben führe. Ich gehe das erste Mal mit jemandem essen  gerade letztens war es ein Kollege und nach dem ersten Überfliegen der Speisekarte kommt mit mitleidigem Blick die Frage: Was dürfen Sie denn hier essen? Da ist es wieder dieses Missverständnis. Ich darf alles essen. Ich gehöre keiner Sekte an, deren Glaubenssätze mir irgendwelche Speisen verbieten und ich handele auch nicht aufgrund Eingebung durch ein höheres Wesen oder auf der Basis irgendeines obskuren Eides. Ich habe mich einfach entschlossen mich möglichst gewaltfrei zu ernähren und daher esse ich keine Tiere und auch keine tierlichen Produkte. Weil ich das so möchte!

Genauso oft die Frage, auf was ich denn alles verzichten muss, wenn jemand erfährt, dass ich versuche möglichst vegan zu leben. Mir fällt da gar nicht so viel zu ein. Ok, meine Sofas haben Microfaserbezüge und bei der Innenausstattung meines Autos habe ich mich für Kunstleder und gegen Tierhaut entschieden, aber soll das jetzt schon Verzicht sein? Schuhe, Taschen und Kleidung gibt es in Hülle und Fülle auch ohne dass dafür einem Lebewesen Fell oder Haut über die Ohren gezogen werden musste. Und auf modisch oder schick muss man dabei auch schon lange nicht mehr verzichten. Ich habe auch vegane High Heels. 

Das was da häufig Verzicht genannt wird, war und ist für mich und so geht es ja immer mehr Menschen- eine Befreiung. Ich wusste schon lange bevor ich mich entschlossen habe, keine Milchprodukte mehr zu konsumieren von dem unsäglichen Leid der „Milch“kühe, von dem  tagelangen Schreien der Mutterkuh nach ihrem Kälbchen und dessen verzweifeltem Nuckeln an allem was sich anbietet. Es war beglückend zu begreifen, dass ich da nicht mitmachen muss. 

Besonderes Unverständnis ruft häufiger hervor, dass ich meine Urlaube in der Regel als Tierschutzreise gestalte. Ja macht das denn Sinn, was ich da tue? Immer mal wieder wird diese Frage auch auf mein Tierschutzengagement insgesamt erstreckt. Mir ist aufgefallen, dass diese Frage besonders nachhaltig von Personen gestellt wird, die an ihre Freizeit- und Urlaubsgestaltung die Anforderung nach Sinnhaftigkeit in keiner Weise zu stellen scheinen. Es sei denn Sinn bedeutet Spaß und Vergnügen. Aber auch da bin ich gerne bereit mich zu erklären, wenngleich man da ja schnell bei sehr grundlegenden, fast philosophischen Überlegungen landet. Was macht Sinn im Leben? Tja, ich denke andere Lebewesen vor Leid oder Schmerzen zu bewahren oder ihnen gar das Leben zu retten, macht Sinn. Deshalb macht Tierschutz für mich Sinn. 

Aber es stimmt schon, ich führe ein trostloses Leben, allerdings nicht aufgrund meines Konsum“verzichtes“. Ja, ich bin untröstlich über das Leid von Lebewesen in dieser Welt. Und dieses Untröstlichsein erstreckt sich auch auf die nichtmenschlichen Tiere. 

Wie soll ich auch Trost finden angesichts von tagelangen Tiertransporten nach denen die Tiere völlig entkräftet und außer sich vor Angst nur noch ihren Tod vor sich haben. Was soll mich trösten angesichts von längst überflüssigen Versuchen an Tieren für vermeintliche Grundlagenforschung oder Botox-Chargen für faltenfreie Fratzen. Was soll mich darüber hinwegtrösten, dass nach einer aktuellen Umfrage 58 % der Befragten nicht wissen, dass Kühe nur Milch geben, wenn sie ein Kalb bekommen haben. Wo finde ich Trost, wenn eine Teilnehmerin zu einer Tierschutzbesprechung im Lammfellmantel kommt und dort Wurstwaren aus tierquälerischer Intensivhaltung kredenzt werden. Welche Gestalt sollte der Trost haben angesichts von Milliarden getöteten Tieren für menschliche Ernährungszwecke. Und wenn man dann mal fragt, warum jemand Tiere isst und die Frage nicht schon als anmaßende Einmischung in höchstpersönliche Angelegenheiten empfunden wird, dann bekommt man so wichtige Gründe genannt wie: Es schmeckt so gut oder das machen doch alle oder es war schon immer so. Aber noch etwas anderes lässt mich trostlos durchs Leben gehen angesichts des unermesslichen Leides der Tiere: das Gefühl zu haben, nie genug getan zu haben.  

Es ist der Preis, den wir Menschen für die Erkenntnis zu zahlen haben und es ist mir allemal lieber untröstlich zu sein als gedankenlos. 

Bitte denken Sie aber nicht mein Leben als Tierschützerin sei freudlos. Die Freude über ein gerettetes Tier, die Freude mit anderen an einem Tierschutzprojekt zu arbeiten und wirklich was voran zu bringen oder das zufriedene Schnarchen meines alten Katers Moritz in meinem Arm sind Anlass für richtig gute Gefühle! Also Tierschutz macht richtig gute Gefühle! 

verfasst Juni 2015